Mutmacher: Der ehemalige Basketballprofi Samer Ismailat kümmert sich um Kinder und Jugendliche aus schwierigsten Verhältnissen. Als Streetworker in Billstedt leitet er einen Hip-Hop-Kursus und veranstaltet außerdem Basketballcamps in der Neustadt.
Von Hanna Kastendieck
Alles kann besser werden, Ich weiß nicht, wie es gehen soll, Alles soll besser werden
Ich weiß nicht, wie es gehen soll, Wenn ein Kind hier schon allein, Für sein Handy durch ein Messer sterben kann, Mach es besser, wer es kann, Man, ich check es nicht, Die, die dazu in der Lage sind, verstecken sich, Und dem Rest geht’s so schlecht, wie das Wetter ist, Der Frust wächst, Opfer, du guckst jetzt besser nicht
Armut heißt: Kälte und Hunger, Und für viele, die ihren Job aufgeben müssen
Geht die Welt damit unter,Wir wollen Mensch sein,Viele sind noch Welten darunter
Die Welt darunter liegt in einem trostlosen Gewerbegebiet im Stadtteil Billstedt. In der Flüchtlingssiedlung Billstieg leben 600 Menschen. Viele von ihnen sind Romakinder. Der Spielplatz ist ihr einziger Ausflugsort. Sie sind es gewohnt, weggetrieben oder in die Ecke geschmissen zu werden, erzählen sie. Sie wissen nicht viel über die Welt draußen. Was sie aber wissen, dass sie keiner hier will. Dass sie jederzeit von der Polizei abgeholt und abgeschoben werden könnten. Und dann kommt plötzlich einer wie Samer. Einer, der sich für die Kinder in der Siedlung interessiert. Der ihnen etwas zutraut, sich kümmert. Der sich nicht abschrecken lässt, der ihre Sprache spricht. Und an sie glaubt.
Samer Ismailat ist 30 Jahre alt. Ehemaliger Basketballprofi. Er arbeitet als Streetworker in Billstedt. Jeden Montag und Mittwoch kommt er in den Billstieg, überquert den staubigen Spielplatz, vorbei an den heruntergekommenen Hausfassaden, den beschmierten Fenstern und zugemüllten Balkonen. Sein Weg endet in der kleinen Turnhalle am Rande der Siedlung. Zwei Stunden hat er Zeit. Er will mit den Kindern und Jugendlichen Hip-Hop-Texte schreiben. Ihnen Mut machen, ihre Geschichte zu erzählen in der Sprache der Rapper. „Hier können sie ihre Ängste, ihre Wut, den Hass und die Verzweiflung, aber auch ihre Wünsche, Träume, Hoffnungen zum Ausdruck bringen“, sagt ihr Trainer. Manchmal kommen zehn Kinder. Manchmal sind es nur zwei. Einige von ihnen machen mit. Andere kommen nur, um Ärger zu machen. Aber sie kommen.
Allein das sei schon ein Erfolg, sagt Samer Ismailat. Die Kinder überhaupt zu etwas zu bewegen. Zehn-, Zwölf-, 14-jährige, die längst die Hoffnung auf eine bessere Welt aufgegeben haben. Die an nichts mehr glauben und keinem mehr vertrauen. Die wissen, dass nichts sicher ist, außer der Angst, irgendwann abgeschoben zu werden.
Samer Ismailat kann den Kindern und Jugendlichen zwar keine Sicherheit geben. Er kann nicht sagen, „wird schon alles gut“. Was er aber kann, ist ihnen zu zeigen, dass sie etwas können. Ihnen zu vermitteln, dass sie etwas wert sind und Ziele, die sie sich vornehmen, erreichen können. Das Jugendamt ist froh, jemanden wie ihn in dieser Siedlung zu haben. Auf diesem Pflaster, das wohl als das härteste in dieser Stadt gelten kann. „Die meisten, die sich hier engagieren, werfen irgendwann das Handtuch“, sagt Ismailat. „Die halten das nicht lange aus.“
Er hält aus. Mehr noch, er mag die Herausforderung. Mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, die schwierig sind, aber auch ihre Potenziale haben. „Ich sage den Kids: Ich weiß, was ihr durchmacht. Und dass es schlimm ist. Bei mir aber war’s noch schlimmer.“
Samer wurde im Libanon geboren, am 2. Dezember 1982, mitten im Bürgerkrieg. An den Ampeln standen bewaffnete Soldaten. „Es wurde auf alles geschossen, was sich bewegte.“ Er kann sich noch genau erinnern, wie er die verwundeten Körper auf der Straße gesehen hat. Da war er sechs Jahre alt. Nachts versteckten sich seine Eltern und der ältere Bruder im Keller bei Verwandten. Irgendwann beschlossen sie, die Heimat zu verlassen. Über Umwege kamen sie nach Aurich an der Nordsee. Hier waren sie sicher.
Sicherheit, die fehlt den Kindern und Jugendlichen, die Samer in Billstedt betreut. Sie kommen aus ärmlichen Verhältnissen. Die meisten von ihnen sind noch nie aus dem Viertel rausgekommen. Also veranstaltet der ehemalige Basketballprofi regelmäßig mit Unterstützung des Abendblatt-Vereins „Kinder helfen Kindern“ Basketballcamps in der Neustadt und fährt die Jungs mit dem Bus quer durch die Stadt. Auf dem Spielfeld bringt er sie zusammen, formt aus ihnen ein Team und lässt sie über sich hinauswachsen. „Das ist eine großartige Sache“, sagt er. Denn die meisten Kinder dürfen im Alltag wegen ihrer unterschiedlichen Nationalitäten nicht miteinander spielen.
Wie sehr ein Mannschaftssport zusammenschweißen kann, wie viel Selbstbewusstsein und Vertrauen sich im Sport entwickelt, weiß Samer Ismailat aus eigener Erfahrung. Für ihn war Basketball immer mehr als nur ein Spiel. Der Sport gab ihm einen Sinn im Leben. Mit acht Jahren hat er zum ersten Mal einen Basketball in der Hand. „Wow, dachte ich, was für ein schweres Spiel.“ Der einzige Verein im Ort, der MTV Aurich, hat damals keine Basketballmannschaft. Also nehmen Samir und seine vier Brüder die Sache selbst in die Hand, gründen eine Mannschaft und übernehmen das Training. Tagsüber sind die Jungs in der Halle. Nachts hocken sie stundenlang vor dem Fernseher und verfolgen die Spiele der National Basketball Association (NBA) in den USA. „Und als ich endlich einen Schlüssel für die Halle hatte, bin ich in jeder freien Minute dort gewesen“, sagt er. „Ganze Wochenenden, sogar Silvester habe ich dort verbracht. Ich wollte unbedingt Profi werden.“ Genauso wichtig wie sein Erfolg als Spieler ist ihm der Erfolg als Trainer. Weil er weiß, wie man junge Menschen motiviert. Und dass es Zeit und Geduld braucht, bis ein Ziel erreicht ist. Als Trainer des MTV Aurich schafft er es mit seiner Mannschaft bis in die Regionalliga. Als Spieler kämpft er mit den Cuxhaven Bascats in der Zweiten Bundesliga. Er trainiert die Jugendteams, gründet an den Schulen Basketball-AGs. 2010 ist er fast am Ziel. Er steht vor einem Wechsel in die 2. Liga zum FC Barcelona II. Während der Saisonvorbereitung verletzt er sich schwer. „In diesen Monaten habe ich die Entscheidung gefällt: Ich höre auf als Profi. Ich werde andere zum Erfolg führen.“
Seit zwei Jahren lebt Samer Ismailat in Hamburg, arbeitet als Streetworker in Billstedt und daran, in Hamburg den Basketballsport zu etablieren. „In der Region spielen circa 6000 Basketballer in 31 Vereinen“, sagt er. „Hier gibt es immenses Potenzial. Das möchte ich nutzen.“ Er ist sich sicher, dass der Sport auch vielen Jugendlichen einen Halt geben kann. Auch jene, die in Billstedt zu seinem Hip-Hop-Kursus kommen. Viele von ihnen gehen nur unregelmäßig in die Schule. Manche überhaupt nicht mehr. Weil sie nicht wissen, wofür sie lernen sollen. Neulich sagte ein Mädchen im Kursus zu ihm: „Ich möchte meine Texte aufschreiben. Damit ich das schaffe, werde ich in die Schule gehen.“ Da wusste Samer Ismailat, dass er alles richtig gemacht hatte.